Art of Pioneering
Das menschliche Maß? Empathie.
Es gibt Menschen, die Räume formen – und solche,
die Geschichten gestalten. Erich Bernard schafft Atmosphären,
verleiht Traditionshäusern Glanz und prägt Orte wie
das Café Bel Étage des Hotel Sacher – inspiriert von Ikonen, verwirklicht mit Präzision.
die Geschichten gestalten. Erich Bernard schafft Atmosphären,
verleiht Traditionshäusern Glanz und prägt Orte wie
das Café Bel Étage des Hotel Sacher – inspiriert von Ikonen, verwirklicht mit Präzision.
Credits Fotos: BWM Designers & Architects, Renée Del Missier, Haiden Alexander
Der Autor Stephen King denkt beim Schreiben seiner Bücher immer an eine ihm vertraute Person. Deren Gefühle und Reaktionen er genau kennt. Woran orientieren Sie sich bei Ihrer Arbeit?
Erich Bernard
Im Idealfall gibt es ein Leitbild oder Leitgefühl. Nehmen wir nur den Salon Sacher als Beispiel. Da war Josephine Baker der Auslöser. 1928 hatte sie bei einem Wien-Aufenthalt einen Nachmittag lang im Café Sacher auf Prägekarten Autogramme gegeben, dieses Bild hatte ich im Kopf. Deshalb gingen wir für den Salon Sacher vom Lebensgefühl rund um Josephine Baker aus, von einer sehr bewegten, lebendigen Stimmung, die gleichzeitig etwas Zeitloses hat. Nach der ersten Skizze ergab sich alles von selbst, die Welten von Wien und Josephine Baker flossen mit der Welt des Eleganten ineinander. Bei der Ausführung kamen auch noch glückliche Zufälle hinzu.
Welcher Art?
Erich Bernard
Beim Recherchieren fanden wir eine Zeichnung von Josef Hoffmann aus der gleichen Ära. Es blieb unklar, für was sie ursprünglich gedacht war, für uns hat sie jedoch genau ins Bild gepasst – wir legten sie auf das Bodenmuster um. Dabei spielen wir mit dem Haus am Lido, das Adolf Loos in den 1920ern für Josephine Baker entworfen hat, legendär wegen der schwarz-weißen Streifen. Bei den Arbeiten stießen wir dann auf eine verborgene Stuckdecke aus der Entstehungszeit des Hauses – das war ein unerwartetes Geschenk, das wir sofort annahmen. Durch einen großzügigen Ausschnitt in fünf Metern Höhe brachten wir die Decke kuppelartig neu zur Geltung.
Begonnen hat Ihre Zusammenarbeit mit dem Traditionshaus Sacher aber mit der Neugestaltung des Café Bel Étage, dem vormaligen Sacher Eck. Wieviel Spielraum gestattet man sich bei einer derart aufgeladenen Marke selbst?
Erich Bernahrd
Das war ganz etwas anderes als der Salon Sacher. Seitens der Familie, die das Hotel seit über 90 Jahren führt, gab es durch Alexandra Winkler den Wunsch, die Historität erlebbar zu machen. Hinzu kamen funktionale Herausforderungen, der als Konferenzraum genutzte erste Stock sollte neu gedacht werden. Zudem war es Matthias Winkler wichtig, die Geschäftssituation im Erdgeschoss anders zu lösen. Wie lässt sich der Raum unter Beibehaltung des Markenwertes selbstbedienungsartig organisieren? Das war eine heikle Layoutfrage – und es war essenziell, sie so zu beantworten, dass das Erdgeschoss keinesfalls zum Supermarkt wird.


„Das klingt nach Begabung, aber Empathie ist viel Arbeit.
Sich die Arbeit zu machen, sich in andere hineinzudenken.”
Sich die Arbeit zu machen, sich in andere hineinzudenken.”
Erich Bernard
Architekt

Wenn es beim Café Bel Étage kein Bild war, wie sind Sie dann herangegangen?
Erich Bernard
Wir haben uns angesehen, aus welchen Zutaten das Hotel Sacher besteht. Da gibt es den schwarzen und weißen Marmor des Bodenmusters, dunkles Holz, viel Gold, das als Messing oder Vergoldung auftritt – und den roten Samt. Aus diesen Zutaten fügten wir das Café Bel Étage neu zusammen. Der rote Samt wurde von uns betont, wir sagten, das ist für uns Sacher. Das ist die CI-Farbe. Dem fügten wir noch Elemente hinzu, die das Wienerische stilistisch unterstützen, den Kristallluster von Lobmeyr zum Beispiel. Der sich auch aus der Geschichte des Hauses erklärt.
Inwiefern?
Erich Bernhard
Im Sacher gab es die ersten elektrifizierten Luster von Lobmeyr, in der damals neuen, nach unten orientierten Bauweise, weil es ja keine tropfenden Kerzen mehr gab. Im Café Bel Étage verbindet er jetzt nicht nur Gestern und Heute, sondern beide Etagen. Um die Gäste in das obere Café zu leiten, haben wir ein Loch in die Decke gebrochen und durch einen zweigeschossigen Kristallluster eine Hinleitung geschaffen. Darunter steht jetzt das archetypische Element der Sachertorte aus weißem Marmor. Dieser wird von Konditoren aufgrund seiner Porencharakteristik und Kühle gerne als Arbeitsfläche genutzt, hat also als Material im Kontext absolute Bewandtnis.


Das klingt so wie beim Salon Sacher erzählerisch durchdacht.
Erich Bernard
Der Prozess war trotzdem ein völlig anderer, viel induktiver. Es gab viele Möbel zu entwerfen, unglaublich viele Details zu berücksichtigen. Wir mussten wieder und wieder reinzoomen, das Gesamtbild haben wir Schritt für Schritt aufgebaut. Das Induktive kann sehr anstrengend sein.
Wie kommunizieren Sie so etwas den Auftraggebern?
Erich Bernard
Wir fertigten unendlich viele Bilder an und es gab fast wöchentliche Workshops, etwa 40 in Summe. Das ist aber exemplarisch für uns. Wir setzen uns intensiv mit den Menschen auseinander, tauchen mit ihnen in den Prozess ein. Das gilt im Besonderen für die Bauherrn und Betreiber, aber auch für die Handwerker – das Produkt entsteht ganz stark gemeinsam. Darum sind wir immer im engen, offenen Austausch mit ihnen. Jeder bringt sein Wissen und Können ein. Daraus wird eine Synthese.
Von den Arbeiten im Café Bel Étage gibt es ein Zeitraffervideo, das den orchestrierten Aufbau zeigt. Fiel ihnen die Rolle des Dirigenten zu?
Erich Bernard
Bestimmt. Aber bei diesem komplexen Projekt kamen viele Dinge zusammen, die große Präzision und Abstimmung verlangten. Ich habe jedoch selten eine Baustelle erlebt, wo der Ablauf von Seiten der Handwerker so minutiös vorbereitet war. Die Werkplanung machte Josef Göbel in 3D, das lief sehr präzise ab, da gab es hinterher auch keine Überraschungen. Teile des von Josef Göbel angefertigten Interieurs wurden bereits in der Werkstatt in Fladnitz aufgebaut. Wir waren mehrmals mit der Familie Winkler dort, um die Sitzbänke und Stühle feinabzustimmen, um Probe zu sitzen. Damit Sitzhöhen und Stoffe wirklich passen.
In dem Zusammenhang: Wie bewerten Sie den Stellenwert des österreichischen Handwerks?
Erich Bernard
Wir haben häufig Projekte in Italien, wo es viele gute Handwerker gibt, allerdings kaum gute Tischler. Die sind sehr gut in industrieller Vorproduktion, aber das Handwerk in seiner ganzen Dimension findet sich so nur in Österreich – und ganz besonders oft im Süden, also auch in der Steiermark.
Sie sprachen vorhin von der Sitzhöhe bei Bänken und Stühlen. Wie definieren Sie für sich das berühmte menschliche Maß?
Erich Bernard
Nicht im visuellen Sinne, für uns ist das in einem Wort gesagt: Empathie. Das klingt nach Begabung, aber Empathie ist viel Arbeit. Sich die Arbeit zu machen, sich in andere hineinzudenken. In unseren Projekten geht es sehr oft um den „unbekannten Dritten“. Im Museumsbereich ist das der Besucher, im Retail der Käufer, dem etwas vermittelt werden soll: Inhalte, Waren. Dafür muss ich mich mit den Menschen auseinandersetzen, um antizipieren zu können, was sie sich überhaupt wünschen und was sie erwarten. In der Hospitality ist es noch einmal spezifischer, viel dialoghafter, hier kommt es noch mehr auf das Verstehen an, denn nirgendwo bleibt der „unbekannte Dritte“ länger. Sein hohes Wohlbefinden steht im Mittelpunkt. Das ist immer unser Paradigma Nummer eins: das Wohlbefinden!
Wie vermeiden Sie es, sich zu wiederholen?
Erich Bernard
Durch Wiederholung. Wobei wir den Prozess wiederholen, nicht den Output. Je mehr ich mich mit dem Ort beschäftige, je genauer ich hinschaue und Auftraggebern zuhöre, umso mehr erkenne ich die Unterschiede. Bei Bestandsarchitektur kommt auch noch die Geschichte hinzu, auf die wir uns gerne einlassen. Zum Schluss muss eine Identität des Ortes entstehen. Dieser Anspruch ist ein Kontinuum unserer Arbeit im Hospitality-Bereich, jeder Ort soll eine Identität entwickeln und für sich gemütlich sein.

